Die Hauptstadtkolumne im Tödlichen Pass

An dieser Stelle möchten wir ein paar sehr lesenswerte Texte kredenzen – alle Kolumnen mit freundlicher Genehmigung von www.der-toedliche-pass.de.

Heft 35/April ´04

Trost der Dialektik

„Jeder sollte an irgendetwas glauben,
und wenn es Fortuna Düsseldorf ist.“
Campino

Loungig-prenzlbergiges Ambiente von dezenter urbaner Eleganz, der VfB Stuttgart, Kickers Offenbach und Nick Hornbys Saffron Walden im Scheinwerferlicht des Abends: „Peinliche Lieblingsvereine“ war im März die Lesung überschrieben, zu der die im Verein „Brot & Spiele“ assoziierten Fußball-Kulturaktivisten allmonatlich das Berliner Publikum bitten. Schöne Texte, vergnügliche Texte, ein voller „Klub der Republik“.

Vereinsmäßiger Lokalkolorit blieb der Veranstaltung erspart – während auf den Fußballplätzen der Stadt seinesgleichen geschieht. Und dabei sehnen sich doch auch die Zeilen dieser Metropolen-Kolumne nach dem Glück-Glanz-Ruhm der Hauptstadt. Solch anschwellendes Gemaule würde Hoeneß, Dieter, natürlich sofort mit seinem Ostinato übertönen: Wissen doch gar nicht, wie es 1996 hier aussah, als ich bei Hertha angefangen habe – in der Champions League gespielt – haben sogar eine Webseite auf Chinesisch. Derweil die Anhänger als practical joke ein selbstmitleidiges „Hertha-Fan-Set“ mit Träneneimer, Fahne (Brenndauer ca. 45 Minuten) und Straßenatlas für die 2. Liga anbieten – das muss er sein, der berühmte Berliner Mutterwitz. Von einer breiteren historischen Perspektive zeugt da schon die tröstende Dialektik, die die Homepage der UEFA bereithält (wenn auch nicht auf Chinesisch): „For most of their history, Hertha have been consistent only in their inconsistency“.

Konsistenz ist übrigens auch ein prima Stichwort für den Schwenk nach Ostberlin. Ach Union: Die aus der Pokalfinalteilnahme anno 2001 entsprungenen Gelder sind durchgebracht, und allenfalls von blühenden Seilschaften kann die Rede sein. Die Clubkultur wird, so scheint es, immer mehr von einer gepflegten Atmosphäre des „Jeder für sich und weiß Gott gegen alle“ dominiert, kein Müntefering der „Eisernen“ in Sicht. (Und dass es mit rumpelnden Spielzügen nebst einem der dubiosesten Elfmeter dieser Zweitligasaison noch gegen den MSV Duisburg gereicht hat, lässt das Kolumnistenherz nicht höher schlagen.)

Da richten wir uns doch lieber an den ebenso subventions- wie subversionserfahrenen – also wahrhaft hauptstädtischen – Anhängern von Tennis Borussia auf, die angesichts eines zwischenzeitlichen Heimrückstandes gegen Lichtenberg den ca. achtköpfigen Gästeblock trotzig skandierend in Paralyse versetzten: „Wir sind die Göttinger Gruppe!“

Norbert Niclauss