Die Hauptstadtkolumne im Tödlichen Pass

Heft 33/Oktober ´03

Hauptstadtfußball

Berlin, es septembert. Großkünstler André Heller hat zum offiziösen Beginn der deutschen WM-Vorfreude vor dem Brandenburger Tor einen Fußball-Globus errichtet, in dem es teure elektronische Gimmicks und ein schlecht organisiertes Abendprogramm zu sehen gibt. Der Blick des Fußballfreundes in der Hauptstadt indes richtet sich in diesen Tagen, so er denn einem der beiden Major-Klubs anhängt, von ganz unten auf die Tabelle. Bei Tante Hertha steht vorne solide die Null. Und wenn nicht, wie zuletzt dank Bobic gegen Hannover 96, steht hinten eine Drei. Damit droht nicht unbedingt ein Remake von Leverkusen in der letzten Saison, aber doch ein Jahr im Niemandsland der Bundesliga. Alles nur eine Frage von Mentalität und Cleverness, wie insbesondere das Hertha-Management suggeriert? Oder nicht doch eher ein Problem, das mit Einkaufspolitik und mangelnder spielerischer Qualität zu tun hat? Die Lücken, die der Ausfall Marcelinhos aufzeigt, verweisen wohl auf Letzteres.

Immerhin, Hertha BSC beschäftigt einen „Leiter Ordnungsdienst auf dem Trainingsgelände“. In der Berliner Zeitung beschrieb er kürzlich seine Hauptaufgabe so: „Viele Fans drängeln sich zu nahe ans Tor, wo Bobic, Wichniarek & Co gerade ihre Schussübungen abhalten. Da die Spieler häufig das Tor nicht treffen, sind solche hart getretenen Bälle gefährlich für die Kiebitze.“ Kommentar eines Unioners in blutgraetsche.de: „So ein Championsleague-Kandidat denkt einfach an alles ;-)“

Ach Union. Auch das Ostberlin gehört nicht gerade zu den hoffnungsbesetzten Zone der 2. Liga. Und die Diagnose wäre vermutlich derjenigen im Casus Hertha gar nicht so unähnlich: fehlende taktische Variabilität, die daraus resultierenden Probleme im Spielaufbau, die Neuverpflichtungen. Gut möglich, dass das Gespenst namens Abstieg bis zum Ende der Saison Quartier in der Alten Försterei bezieht.

Entspanntere Mienen dagegen im Independent-Sektor der Oberliga. In Zeiten allseits schrumpfender Etats schlägt sich Tennis Borussia mit einer jungen, nahezu komplett neu rekrutierten Mannschaft überaus wacker – und dies trotz Insolvenzverfahren, das den Spielbetrieb in pekuniärer Hinsicht auf eine fast sozialromantisch-amateurhafte Basis stellt. Womit der Lokalpatriotismus wieder einmal gerettet wäre.

Norbert Niclauss