Verbotene Liebe

Das tragische Doppelleben des Fabian (von) W.

„Hertha-Fans, macht euch bereit für Berlins Fußball-Team Nummer eins, macht euch bereit für Herthaaaaaaaa B-S-C!“, so dröhnt es zu jedem Heimspiel im Olympiastadion aus den Boxen, wenn Fabian von W., Stadionsprecher der Hertha, die Mannschaftsaufstellung verliest und den Anhang zur Extase treibt. Ein Hertha-Verrückter, wie er im Buche steht, möchte man meinen. Dass dieser Mann in Wahrheit ein quälendes Geheimnis mit sich herumträgt, das ahnen nur die wenigsten. Gefühle, die Fabian, kämen sie ans Tageslicht, zum Verhängnis werden könnten. Denn: Fabians Herz schlägt lilaweiß.

Früher, da konnte sich Fabian noch ohne Angst zu seinen Gefühlen bekennen. Er wuchs auf in einer Zeit, in der es gesellschaftlich noch nicht tabuisiert war, im lilaweißen Jersey mit dem Adler drauf über den Ku’damm zu spazieren. Geboren 1967 in Schöneberg, bolzt er mit seinen Kumpels im nahegelegenen Volkspark, schon bald jedoch entdeckt er auch seine Leidenschaft für den „großen“ Fußball, an dessen Tür Tennis Borussia in den 70er Jahren zweimal klopft. Nicht besonders nachhaltig, aber dennoch auf so unwiderstehlich charmante Art, dass es um Fabians Fußballherz geschehen ist.

Der wundersame Name und das schillernde Lila haben es ihm angetan. Als er sieben Jahre alt ist, sichert sich TeBe im rappelvollen Poststadion mit einem 3:1 über den FC St. Pauli den Aufstieg in die Bundesliga. Am Ende der Spielzeit geht es wieder runter, doch bereits ein Jahr später ist TeBe wieder zurück. Der zehnjährige Fabian ist begeistert, schwärmt für Sackewitz und Jakobs, Subklewe und Baake, und will später ein Goalgetter ganz wie Benny Wendt werden. Trotz vieler Klatschen scheint TeBe drauf und dran, Hertha den Rang in der Gunst des Publikums abzulaufen. Doch die Kassen sind klamm und der Kader zu schmal, um wirklich konkurrenzfähig zu sein. Erneut reicht es nicht zum Klassenerhalt, und diesmal verabschieden sich die Veilchen dauerhaft aus der höchsten Spielklasse. Fabian trägt sie dennoch weiter in seinem Herzen. Egal, ob Zweite Bundesliga Nord, Westberliner Oberliga, Zonen-Regionalliga, seiner Liebe kann das nichts anhaben. Regelmäßig trifft man ihn im Mommse an, und nicht im Olympiastadion, wo die Hertha kickt, meist eine Liga höher.

Wie kommt es nun, dass besagter Fabian von W., dessen Jugend so glücklich, unbeschwert und fußballpädagogisch wertvoll verlief, Mitte der 90er einen Pakt mit dem Teufel schloss und diesem seither samstäglich seine Seele verkauft? Zuverlässige Quellen, die sich vertrauensvoll an unser seriöses Qualitätsmedium gewandt haben, berichten von einer tragischen Lebensgeschichte, die einem den Atem stocken lässt. Nachdem Tennis Borussia 1996 in Oldenburg an Markus Merk und am Aufstieg gescheitert ist, stürzt von W. in eine tiefe Krise. Er lässt sich gehen, spricht dem Alkohol zu, tritt sogar einen Job als Moderator bei „Radio Energy“ an. Immer tiefer rutscht er in den Strudel des sozialen Abstiegs, umgibt sich mit zunehmend zwielichtiger Gesellschaft. In der „Westend-Pinte“ ist er regelmäßiger Teilnehmer an Poker-Runden in verqualmten Hinterzimmern, es wird um hohe Einsätze gespielt.

Mit von der Partie ist hier auch ein gewisser M. Zemaitat, den wir aus Diskretionsgründen im Folgenden lieber Manfred Z. nennen wollen. Diesem eilt der Ruf voraus, ein gewisses Faible für krumme Deals zu haben. Dafür spricht auch die Tatsache, dass er sich 1994 zum Präsi der Hertha hatte wählen lassen. Selbige ist seinerzeit noch weit entfernt von jeglichem Anflug von Hype. Einziges Inventar der Geschäftsstelle in dieser Ära, das wissen wir dank des Anekdotenschatzes eines gewissen Dieter H., ist eine kleine Reiseschreibmaschine, womit es in der mondänen Villa ähnlich übersichtlich zugeht wie bei Herthas Heimspielen vor zumeist fünfundsechzigtausend leeren Rängen im Olympiastadion. Kurzum, mit Hertha will Mitte der 90er kein Mensch was zu tun haben. Außer Pepe Mager, natürlich.

Das spürt auch Z., als er verzweifelt auf der Suche nach einem Stadionsprecher für die alte Dame ist. Niemand hat Lust, sich anderthalb Stunden lang mit dem Restbestand der ungeheuer sympathischen Hertha-Frösche in die Betonschüssel an der Reichssportfeldstraße einsperren zu lassen, und so bleibt die Suche lange Zeit erfolglos. Doch dann, während einer jener nächtlichen Pokerrunden, wittert Z. seine Chance: Als der bedauernswerte von W. all sein Hab und Gut, seine Uhr, sein Auto, seine Wohnung und schließlich sogar sein Adelsprädikat verzockt hat, entscheidet sich Z. zu einem diabolischen Schachzug: Er hält von W. einen unterschriftsreifen Vertrag unter die Nase. W. brauche sich nur als Stadionsprecher verpflichten, schon erhalte er all seine verlorenen Schätze zurück. W. lehnt zunächst entrüstet ab und verlässt das Lokal. Doch dann überkommt ihn die Sorge an seine Familie. Er kehrt zurück und unterzeichnet. Das bisschen Stadionsprecherei quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen eine materiell abgesicherte Zukunft, so denkt er sich, das lässt sich schon durchhalten.

Doch in seiner Verzweiflung hat W. das Kleingedruckte überlesen. Erst ausgenüchtert und bei Tageslicht werden ihm die Dimensionen des Kontrakts bewusst: Der windige Z. hat ihn nicht nur lebenslänglich an Hertha gebunden. Nein, W. hat sich per Unterschrift obendrein verpflichtet, TeBe komplett abzuschwören. Ein sittenwidriger Knebelvertrag par excellence, von dem sich selbst Heidi Klums Agentur noch eine Scheibe hätte abschneiden können.

Die folgenden Jahre werden für W. zur Hölle auf Erden. Jedes zweite Wochenende wird er in ein blauweißes Trikot gesteckt und gezwungen, den immergleichen Text (s.o.) aufzusagen. Wenig später wird Manfred Z. durch bereits erwähnten Dieter H. ersetzt und kurz darauf setzt ein schwer begreiflicher Hype um die Hertha ein, das Stadion füllt sich und Fabian W. wird stadtbekannt, möchte am liebsten im Erdboden versinken. Bald tänzelt auch noch ein pelziges und im Genitalbereich unbekleidetes Ungetüm namens „Herthinho“ um ihn herum. W. überkompensiert seinen Frust, indem er sein Publikum immer wütender anschreit, doch zu allem Unglück steht die Ostkurve auf harte Ansagen in diesem historischen Ambiente. Nachts wird W. von Alpträumen geplagt und entwickelt Fluchtpläne.

Als 1998 im DFB-Pokal schließlich die Paarung Tennis Borussia vs. Hertha BSC ausgelost wird, scheint das eine Fügung des Schicksals zu sein – W. sieht die große Chance gekommen, sich aus seinem Martyrium zu befreien. Wochenlang fiebert er dem Tag entgegen, plant seine Flucht minutiös, spielt alles immer wieder durch. Obgleich unter strenger Beobachtung stehend, gelingt es ihm, eine Unaufmerksamkeit seiner Bewacher zu nutzen und in den TeBe-Block zu gelangen, wo er sich den Ultras der Lilaweißen als einer der Ihren zu erkennen gibt. Doch tragischerweise sind diese viel zu beschäftigt mit der fachgerechten Umsetzung ihrer Choreo, um die hysterische Verzweilfung in W.’s Worten zu erkennen und ihm Asyl zu gewähren. Kurz darauf wird W. wieder eingefangen und in die Hertha-Kurve verbracht. Von dort aus erlebt er den historischen 4:2-Coup der Veilchen. In seinem Innersten mischen sich Verzweiflung über den gescheiterten Befreiungsversuch und heimliche Genugtuung über die Galavorstellung seiner Lilaweißen.

Trotz der vertraglichen Verpflichtung, über seine wahre Liebe zu schweigen: Mit fortschreitender Zeit häufen sich die Momente, in denen sie sich ihren Weg bahnt, in denen W. alle Vorsicht über Bord wirft und seine Gefühle nicht mehr zu verbergen vermag. Wiederholt wird er mit seinem Sohn in Block D des Mommsenstadions gesichtet. Auf einen TeBe-Artikel in der 11 Freunde meldet sich W. per Leserbrief zu Wort, korrigiert kenntnisreich inhaltliche Fehler. Und als Illja Aracic von TeBe zu Hertha wechselt und in seinem Premierenspiel gegen Borussia Dortmund dort gleich zweimal trifft, zieht sich W. ein gellendes Pfeifkonzert zu, nachdem er die Eichkamp-Vergangenheit Aracics nahezu in jedem Satz erwähnt (true story).

Wie lange kann W. dieses grausame Versteckspiel noch durchhalten? Fakt ist, er wird immer leichtsinniger. Als er auf seinem Facebook-Account TeBe zu seinem Lieblingsverein kürt, sorgt das für Irritationen. W. rettet sich mit der Erklärung, sein Account sei gehackt worden.

Auch in der TeBe-Führungsetage ist man mittlerweile auf die beklemmende Situation W.’s aufmerksam geworden. Trotz des schmalen Etats erwägt man ernsthaft, W. aus seinem Knebelvertrag freizukaufen.

Pikante Duplizität: Auch TeBe hat mittlerweile ein massives Stadionsprecher-Problem. Wie es sich anfühlt, die eigenen Fans zum Feind zu haben, davon kann Stadionsprecher Mr. Bungle ein Lied singen. Lange Zeit war Bungle beliebt, doch als vor geraumer Zeit aufflog, dass Bungle auch die Heimspiele seiner wahren Liebe, des SC Charlottenburg, moderiert und mit den SCC-Ultras die bei TeBe so vermissten „Danke/Bitte“-Spielchen zelebriert, erschüttern allwöchentlich unerbittliche „Bungle raus!“-Sprechchöre die altehrwürdigen Grundfesten des Mommsenstadions.

TeBe-Präsi Andreas Voigt, gewöhnlich ein Meister der diplomatischen Töne, äußerte bereits ungewohnt unmissverständlich: „Als echter Arbeiterverein mit großer Basisnähe können wir den Zorn der Fans natürlich nicht ignorieren. Jeder weiß um den traditionell abgrundtiefen Hass zwischen SCC und TeBe. Mr. Bungle ist mit seinem provokaten Verhalten mittlerweile zu einer echten Belastung für Verein und Fanszene geworden.“ So sieht das auch Ping-Pong-Axel, legendärer Capo der Ping-Pong-Veterans: „Der soll sich lieber heute als morgen vom Acker machen“, wettert er ungehalten. Auch die einflussreichen und gefürchteten Zero Ultras haben Bungle längst die Rückendeckung entzogen. Und gegen den Widerstand der mächtigen Ultras, das ist bekannt, lässt sich bei TeBe kaum Vereinspolitik zu machen. Aufgrund der Gefahr von „Hausbesuchen“ durch ZU lebt Mr. Bungle derzeit in einer Datsche außerhalb Berlins, zu den Spielen erscheint er nur noch unter Personenschutz.

Lange Zeit zögerte der Vorstand, Konsequenzen zu ziehen, doch nun scheint die TeBe-Anhängerschaft Fans Voigt unbeabsichtigt auf einen geradezu genialen Ausweg gebracht zu haben. Als Mr. Bungle kürzlich versehentlich einen falschen Torschützen ansagte, wütete Block E: „Du kannst zu Hertha gehen!“. Plötzlich wurde Voigt klar, dass genau hier die Lösung liegen könnte: Fabian W. zu TeBe, Bungle zur Hertha. Wie der Lila Kanal erfuhr, stehen beide Klubs bereits in ernsthaften Verhandlungen über diese Personalie. Voigt wollte sich offiziell noch nicht dazu äußern, räumte aber ein, dass bei diesem Deal aus seiner Sicht nur Gewinner geben würde. Zudem hätte W. bereits signalisiert, dass er bei einem Wechsel zu TeBe auch Jack W., seines Zeichens berühmter Schlagerproduzent, wieder zurück in den Eichkamp bringen könne. Voigt: „Dann hätten wir hier endlich mal wieder ordentliche Stadionmusik. David Hasselhoff und Hansi Hinterseer anstelle dieser No-Future-Mucke von Mr. Bungle – da kommen Fans und sportlicher Erfolg von ganz alleine zurück!“ Mr. Bungle, von uns zu diesen Plänen befragt, antwortete nur knapp: „Mir ist es völlig gleich, wo ich Stadionsprecher bin – Hauptsache die Kohle stimmt!“

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Ganz in trocknen Tüten scheint die Sache aber noch nicht. Gehandelt wird derzeit auch noch eine andere Option, nämlich die so genannte Ringtausch-Variante: In diesem Fall würde W. ins Mommsenstadion wechseln, sein Köpenicker Kollege Christian A. ins Olympiastadion und der beim Union-Anhang traditionell beliebte TeBe-Stadionsprecher an der Alten Försterei seine neue Wirkungsstätte finden. Alles scheint möglich beim sich derzeit auf Hochtouren drehenden Stadionsprecher-Transferkarussel. Der Lila Kanal bleibt natürlich am Ball!

Im Übrigen:
Heute, 14 Uhr, Mommse: TeBe vs. Club Italia Berlino
Seid dabei!

Epilog: Auch wenn dieser Artikel einige reale Anekdoten sowie historische Fakten als Grundlage verwendet (siehe Verlinkungen im Text), ist er natürlich als Satire aufzufassen, ein Produkt unseres kruden, durch diverse Fußball-Traumata geprägten Humors und vieler schlechter Drogen. Die allermeisten Behauptungen dienen lediglich der Ausschmückung der Geschichte und sind frei erfunden, Manfred Z. ist in Wahrheit ein honoriger Anwalt, Jack W. macht überhaupt keine No-Future-Mucke und Fabian von W. gilt, trotz seines Jobs, unsere ehrliche! Sympathie (und wenn ihr es gut mit ihm meint, schickt ihr euren Hertha-Kollegen keinen Link zu diesem Artikel). Das mit Pepe Mager allerdings ist wahr.