Road to Steglitz

Prolog beim Frühstück:

Dem vierjährigen Sohn ist es auch schwer zu vermitteln. „Papa fährt heute mal ganz lange mit dem Bus zu TeBe.“ – „Ich auch“, spricht der Sohn.

„Nein, wir benehmen uns da daneben und riechen irgendwann alle. Außerdem wird dir im Bus schlecht. Der fährt ja auch einen riesigen Umweg.“

Die siebenjährige Tochter schaltet sich ein: „Wieso fährt der Bus einen Umweg?“ – „Na, weil wir in Charlottenburg losfahren und dann über Sachsen-Anhalt nach Steglitz fahren“. Komme ins Schwitzen. Die Kinder sehen mich fragend an. Die Tochter könnte ihre Frage jetzt theoretisch wiederholen, denn sie wurde keinesfalls angemessen beantwortet. Wir schweigen jetzt aber alle und löffeln in den Cornflakes.

Neun Uhr am S-Bahnhof Messe-Süd. Wir machen das jetzt wirklich, ja?

Ja. Wir fahren jetzt einfach mal nach Wittenberg und wer sich jetzt beschwert und uns irgendetwas vom ökologischen Fußabdruck erzählt, dem sagen wir einfach, dass wir seit Jahren ökologisch aber auf ganz kleinen Füßen unterwegs sind. Was Mutter Natur da in den letzten Jahren an CO2 erspart geblieben ist, als wir mit der S-Bahn nach Lichtenberg oder Mahlsdorf gefahren sind, statt im Bus nach Düsseldorf oder im Flieger nach Donezk zu heizen – da könnte man direkt mal über eine Art Rückzahlung nachdenken. „Liebe Fans von Tennis Borussia. Wir teilen Ihnen mit, dass Sie als Fangruppierung eine CO2-Auswärtsfahrtbilanz aufweisen, die so dermaßen vorbildlich ist, dass Sie zum nächsten Ersten eine Ausgleichszahlung des Fanclubs „Gelb-Schwarze Horde“ von Borussia Dortmund in Höhe von 160.000 Euro erhalten. Mit sportlichen Grüßen. Michel Platini“.

Wie auch immer – wir haben ordentlich was gut. Richtig was nachzuholen. Außerdem hätten wir ja auch fliegen können. Tegel – Witteberg – Tegel. Oder wir hätten die Tour von Charlottenburg nach Sachsen-Anhalt und zurück nach Steglitz auch gerne im Pkw antreten können – einzeln. Und stets hochtourig. Mit 150km/h im dritten Gang! Haben wir aber nicht. Wir fahren heute Reisebus!

Außerdem befinden sich Brötchen mit veganem Brotaufstrich an Bord. Da schnurren die politisch und moralisch Anspruchsvollen plötzlich wieder alle und fahren begeistert mit.

Momentan scheinen noch so Sachen wie Club Mate für die Hippen und Kaffee für die anderen das Bild vor dem Bus zu bestimmen. Ein paar Leute waren aber wohl um 7 schon mal im „Hecht“. Da gibt’s bekanntermaßen weder Mate noch Kaffee und auch andere trinken heute ihr Vormittags-Bier einfach mal zwei Stunden früher als sonst. Ich auch. Habe allerdings alles falsch verstanden und extra Sternburg-Bier im Supermarkt gekauft, weil ich dachte, das wäre das einzig gestattete Getränk. Geht ja schließlich gegen Stern. Super-Witz eigentlich. Sterni trinken vor dem Stern-Spiel. Der Knaller. Gucke mich Sterni saufend um. Kaffee und Mate sind wohl jetzt leer. Jetzt trinken alle Bier. Aber kaum einer Sterni.

Im Bus ist alles wie früher, als wir noch nach Karlsruhe oder Nürnberg, später immerhin noch nach Verl oder Lüneburg reisen durften. Die hinteren Busbänke üben noch immer eine magische Anziehungskraft auf all jene aus, die aus gutem Grund schon in der Schule immer hinten saßen oder sitzen.

Nach vorne hin werden die Busreisenden immer uncooler und zivilisierter. Ganz vorne heißt es dann sogar stilecht, dass die Musik ein bisserl zu laut sei. „Ja, so war es und so ist es und so wird es immer sein“ um hier direkt mal die Bord-Setlist zu Wort kommen zu lassen. Jawohl – glücklich gemacht von Sterni, Kümmerling und der kargen Waldlandschaft Brandenburgs schunkeln wir zu den großen Hits aus den Bandkellern von Bayern München, dem MSV Duisburg und sogar Hertha BSC, das der Welt ja – so fair wollen wir sein – nicht nur einen scheußlichen Fußballclub hinterlassen hat, sondern eben auch eine durchaus schmissige Vereinshymne.

Irgendwann waren wir dann „da“. Wittenberg Suburbia. Welcome to the Nichts.

An einer dubiosen Haltestelle sammeln wir ortskundige TeBe-Fans ein, woraufhin diese dann den Bus in einen geheimen Winkel lotsen, dessen Autobahnanschluss wohl irgendwann einmal zu später Stund auf einer Weihnachtsfeier im Verkehrsministerium beschlossen wurde und der ein bisschen so aussieht wie der Ort aus der Schlagzeile „Spaziergänger machte grausigen Fund“.

Es ist davon auszugehen, dass dies ungefähr der Moment ist, an welchem der Busfahrer denkt „Himmel hilf, was machen wir hier? Jetzt schlachten die mich ab, die perversen Feiglinge“ – aber was machen wir Perversen? Wir pinkeln harmlos auf das Ende der Autobahn und führen nichts Böses im Schilde. So haben wir dem Busfahrer ganz nebenbei auch noch das unbezahlbare Gefühl einer Neugeburt im Sinne einer Nicht-Tötung beschert.

Dann: Zu Fuß über Sandwege in Wittenberg. Seit Luther nicht mehr neu gemacht. God Save TeBe.

Am Scheitelpunkt der Fahrt, in einem Wittenberger Garten, spielen ein paar Übermütige ein Bierquiz. Einer erkennt 2 von 5 Biersorten am Geschmack. Wahnsinn. Streng genommen stellt dieses Kulturprogramm das Ziel dieser Fahrt dar, denn danach geht’s wieder zurück.

Der Busfahrer, immer noch froh, am Leben geblieben zu sein, fährt uns artig nach Berlin-Steglitz. Stinkend betreten wir knapp zwei Stunden später den Boden des Wohlstandsbezirkes und laufen im Fanmarsch die letzten hundert Meter auf das Stadion zu, denn wir sind hier auf einer Auswärtsfahrt. Nach vier Stunden im Reisebus meint man sich unbedingt im Recht – ja in der Pflicht – einen Fanmarsch auf den Straßen zu unternehmen. Wir sind ja nicht mit der BVG hier, liebe Freunde aus Steglitz. Wir sind früh raus und mussten echt schon einiges durchstehen um hierher in eure heile Welt zu gelangen!

Der Steglitzer ist aber sehr entspannt: da geht so eine kleine Straßensperrung auch ohne vorherige Genehmigung durch, denn die Steglitzer Autofahrer fahren alle unsicher blinkend rechts ran, wenn ihnen auf der Straße ein paar betrunkene Fahnen schwenkende Menschen entgegen kommen – woanders hätte man uns wohl einfach umgefahren. Der Verkehr wäre sozusagen im Flow geblieben – in Steglitz kommt er indes kurz zum Erliegen.

Zurück dann mit der BVG – der Traum eines jeden Auswärtsfahrers: „Boah, jetzt schnell nach Hause“ – heute geht er in Erfüllung.

Wie wir gespielt haben? Egal. Wir sind Bus gefahren und haben auf Rasthöfen Knoppers gekauft!!! Wie die aus der Bundesliga!!!

Written with and by Hope

Update: Dieser Beitrag hat auf www.fokus-fussball.de bei der Abstimmung zum „Fußballblogbeitrag des Monats Oktober 2013“ den ersten Platz abgesahnt. Vielen Dank für Eure Stimme! – Die Regie