Am Tag, als Tennis Hertha schlug, und alle Gläser klangen

Lila-Kanal-Geschichtsstunde: Kleiner Rückblick auf den Derbysieg schlechthin

Heute abend zwischen 19.30 Uhr und ca. 21.18 Uhr jährt sich zum fünfzehnten Mal das Ereignis, welches man getrost zu den absoluten Highlights der jüngeren Vereinsgeschichte zählen darf. Niemand, der/die damals dabei war, wird diesen Abend je vergessen, der von der Wolfgang Noise Experience wie folgt besungen wurde: „Zehn Jahre 2. Liga, das ist uns scheißegal – wir haun die blöde Hertha weg im DFB-Pokal!“.

Zugegeben, zehn Jahre zweite Liga wären uns aus heutiger Perspektive alles andere als scheißegal, sondern eine geradezu paradiesische Verheißung. Damals hingegen klang diese Zeile angesichts der – im wahrsten Wortsinn – Visionen der Göttinger Gruppe wie Erfolgsverweigerung pur. Strange, wo heute bereits ein Sieg gegen Eintracht Mahlsdorf tagelang anhaltende Euphorie auszulösen vermag.

Aber darum soll es hier und heute nicht gehen, sondern um jenen grandiosen Oktoberabend aus einer Epoche, in der Hermann Gerlands so genannte „Multikulti-Truppe“ in der Regionalliga sowohl für Fuore gesorgt als auch gnadenlosen Hass (Dresden, Leipzig, Köpenick, Leipzig, …) geerntet hatte und mit nur sechs Gegentoren in die zweite Liga aufgestiegen war. Diese war auch nach dem Aufstieg nahezu unverändert beisammen geblieben und mischte zunächst auch die 2. Liga ordentlich auf. Und dann bescherte uns die Losfee DAS Derby …

Viel Aufregung hatte es bereits im Vorfeld gegeben, denn die Tatsache, dass der Außenseiter sein Heimrecht wahrnehmen und im Mommse spielen wollte, sorgte für einen Sturm der Empörung im Berliner Boulevard und brachte Otto Höhne an den Rand eines Herzinfarkts. Am Ende nahm TeBe Rücksicht auf dessen Gesundheit und zog ins Olympiastadion. Heimspiel für Hertha also, die damals eine Top-Bundesliga-Saison spielte und sich am Ende selbiger für die Champions League qualifizierte. Tennis auswärts also noch krasserer Außenseiter als das ohnehin schon der Fall gewesen wäre, wenngleich die Mannschaft nur so vor Selbstbewusstsein strotzte.

Und dann passierte das, was wir alle kennen – die alte Tante wurde nicht einfach nur besiegt, sie wurde am Nasenring durch die
Arena geführt. Kein mühsam nach Verlängerung oder gar Elfmeterschießen erkämpfter Außenseitererfolg, wie das im Pokal schon mal vorkommt, sondern eine Demütigung des großen Rivalen nach allen Regeln der Kunst, die fast in einem derben Kantersieg geendet wäre und die Berliner Fußballwelt für einige Tage auf den Kopf stellte. „TeBe vernascht Hertha-Würstchen“ – so und ähnlich titelte der TeBe mit einem Schlag (kurzfristig) wohlgesonnene Boulevard und erklärte lilaweiß kurzerhand zur neuen Nummer eins der Stadt. Ob das dem Verein besonders gut tat, darf man retrospektiv getrost bezweifeln, wenngleich die Ursachen für den kurz darauf einsetzenden Absturz natürlich viel tiefer lagen.

Anyway, erstens gibt es, wie wir mittlerweile herausgefunden haben und auch zu genießen wissen, auch ein Leben abseits des großen Fußballs und zweitens war dieser Abend im Oktober so genial, dass er allein eigentlich bereits schon den ganzen Mist aufwiegt, mit dem wir uns danach rumschlagen mussten (fast). Denn dieses 4-2 war nicht einfach „nur“ ein Derby-Sieg, sondern ein unvergleichlicher Rauschzustand, beginnend in der 3. Spielminute, als Copado kackfrech per Hacke auf Kovacec ablegte und dieser den Ball gegen den kurzen Pfosten der alten Tante ballerte. Genau ab diesem Moment tat sich die Ahnung auf, dass dies hier möglicherweise ein ganz großer Abend werden könnte. Und er wurde es.

Bevor wir uns hier einen Wolf schreiben und Dinge erzählen, die eh alle im Schlaf herunterbeten können, die das Spiel miterlebt haben, dokumentieren wir den Abend einfach nochmal in einigen bewegten Bildern – auch für die, die damals noch nicht dabei waren und zumindest erahnen wollen, wie sich das damals angefühlt hat. Warnung: Leider befinden sich die Aufnahmen auf einer defekten Festplatte und bisher ist es trotz großer Mühen nicht gelungen, diese dort auszulesen. Als Notlösung sind wir jetzt auf die Idee gekommen, das Ganze einfach mal vom Bildschirm abzufilmen – stellt euch also auf schiefe, flackernde Bilder plus absoluten Low-Fi-Sound ein!

Demnächst dann sicher nochmal in besserer Quali (zumal das Material vermutlich noch in diversen Fan-Archiven schlummert), aber eigentlich ist das sekundär angesichts der Erinnerungen, die beim Betrachten dieser Aufnahmen reaktiviert werden – es fühlt sich etwas an ein Ausflug in eine ferne Galaxie: Das alberne Animationsprogramm der Göttinger Gruppe mit Maskottchen und reichlich „was fürs Auge“ (halbnackte Sambatänzerinnen im Herbstregen), die trommelnden Marsmenschen von „Terror Brasilis“ in der Kurve und so weiter. Kurios natürlich auch die aus heutiger Sicht etwas unkoordiniert und lückenhaft wirkende Zettel-Choreo, die aber gleichzeitig dokumentiert, dass wir heutigen Ultra-Skeptiker damals, als das Phänomen in vielen bundesdeutschen Kurven noch lange nicht angekommen war, zu den Pionieren auf diesem Gebiet zählten. Was haben wir nur angerichtet?^^

Unterhaltsam auch die Statements der Spieler hinterher, gegen die Muhammad Ali ein bescheidenes Kerlchen war, unterhaltsam all die kleinen Verpeiltheiten der Töppis („Zräcko Kovacec“, „Michael Hamann“, „van Buritsch“, Farbenblindheit) und Poschis (der an diesem Abend so ziemlich jedes Spiel und jedes Interview in Bremen verortete). All das war es uns wert, das Schweigegelübde des Lila Kanal-Journals für einen Tag zu brechen, um euch diese Aufnahmen zu kredenzen. Aber seht selbst und habt Spaß: